Wir brauchen eine neue Landwirtschaft

 

Der neue Bericht des Weltklimarates von Anfang August 2019 stellt unser heutiges Konsumverhalten in Frage. Dabei stand auch zur Debatte, ob es eine neue Landwirtschaft brauche? Ja, wir brauchen dringend andere Wege und bessere Lösungen in der landwirtschaftlichen Produktion. Aber diese Wege sind nicht neu! Schon im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts haben die Pioniere des Biolandbaus erkannt: Eine Landwirtschaft, die allein auf Höchsterträge ausgerichtet ist, wird der Bevölkerung langfristig keine Ernährungssicherheit bieten können. Dass ein «gegen die Natur» nur mit immer noch intensiverem Einsatz von Pestiziden zu schaffen ist - dass übernutzte Böden erodieren und sich in Wüsten verwandeln - wie sich heute immer deutlicher zeigt, haben diese Pioniere damit recht gehabt.

 

 

Steht die heutige Landwirtschaft somit zu Recht am Pranger?

Meine Antwort lautet: Jein!

Unsere Landwirtschaft ist ein Abbild der Gesellschaft. Die Bauern produzieren so, wie wir als Konsumierende einkaufen. Dort, wo ich ein Lebensmittel aus dem Regal ziehe, wird es von hinten nachgefüllt. Dass die Bauern bereit sind auf ein verändertes Einkaufsverhalten zu reagieren, haben sie in den letzten Jahren in vielen Ländern weltweit, in der Schweiz sogar sehr ausgeprägt, bewiesen.

Die Schäden, die der Einsatz von Pestiziden verursacht, werden von der Bevölkerung immer deutlicher wahrgenommen. Wachgerüttelt werden die meisten Leute aber nicht durch Berichte von belasteten Böden und Gewässern, sondern durch eigene Betroffenheit! Rückstände auf Lebensmitteln und im Trinkwasser wirken in der heutigen «Ich»-Gesellschaft viel bedrohlicher als wenn Vögel oder Kleinlebewesen in Böden und Gewässern betroffen sind...

2015 hat das «Swedish Environmental Research Institute» eine fünfköpfige Familie, die normalerweise sehr preisbewusst einkauft, während zwei Wochen mit 100% Bio-Lebensmitteln versorgt. Die Unterschiede in den Urinproben, erhoben zu Beginn und am Ende der Testphase, waren immens!

 

Bio-Bauern erhalten doppelte Wertschätzung

Die Bauern reagieren. Etwas zögerlich erst, dafür in den letzten drei Jahren umso deutlicher: Nach 20 Jahren stetig steigendem Marktanteil von biologisch produzierten Lebensmitteln wird den Bauern klar, dass Bio mehr als eine Modeerscheinung ist... In der Schweiz ist die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe seit 2010 um über 8000 zurückgegangen. Bio hat im gleichen Zeitraum um über 1300 Betriebe zugelegt. 2019 liegt der Bioanteil bei rund 15%. Viele Bauernfamilien stellen heute ihre Betriebe aus ökonomischen Überlegungen um. Einige brauchen etwas länger, andere weniger lang, bis Bio vom Kopf ins Herz gewandert ist. 2013 führte das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im Auftrag von Bio Suisse eine Umfrage durch. Befragt wurden Bio-Betriebe, die erst seit wenigen Jahren biologisch wirtschaften. Viele Betriebsleiter beurteilten rückwirkend den Entscheid zur Umstellung auf Bio als den besten Entscheid, den sie auf ihrem Betrieb je gefällt hatten!

Die Herausforderungen sind gerade im Ackerbau und bei Spezialkulturen wie Obst- und Weinbau oftmals gross. Aber die Suche nach neuen Wegen und Lösungen weckt bei den neuen Bio-Bauern den Berufsstolz, der in den Jahrzehnten der «chemischen Keulen» bei Vielen etwas verkümmert ist. Zudem profitieren die Bauern durch die Umstellung auf Bio gleich zwei Mal. Sie erzielen auf dem Betrieb mehr Wertschöpfung, und sie erhalten als Familie von der Bevölkerung mehr Wertschätzung!

 

Unfairer Wettbewerb im Verkaufsregal

Der Stimmenanteil unserer Bevölkerung, die nach mehr Ökologie und Fair Trade verlangen, liegt regelmässig bei über 30 % (2018, Fair Food – 38%). Der Marktanteil bei Lebensmitteln liegt jedoch im besten Fall halb so hoch, allerdings auch nur, wenn wir IP Suisse Produkte mit einberechnen. Viele Konsumierende nehmen diese als Bio wahr, auch wenn sie nicht Bio sind. Bei Textilien liegt der Anteil von biologischer Baumwolle laut Schätzungen bei rund 5 %. Das ist enttäuschend wenig, denn gerade der konventionelle Anbau von Baumwolle gilt als sehr umweltbelastend. Die Ursache für diese Diskrepanz zwischen Wunsch und tatsächlichem Einkaufsverhalten ist rasch gefunden – es sind die Preise! Zugegeben, die Preise für BioProdukte liegen meist etwas höher. Das kommt aber zum grössten Teil daher, dass Natur- und Umweltschäden nicht im Preis enthalten sind. Wir sprechen hier von externen Kosten. Das sind Ausgaben, die heute von den Steuerzahlern oder den nächsten Generationen bezahlt werden müssen. Ein aktuelles Beispiel: Wegen zu hohen Rückständen von Pestiziden, mussten 2019 mehrere Gemeinden in der Schweiz Grundwasserfassungen stilllegen. Die Ersatzbeschaffung bzw. die aufwändige Reinigung des Wassers durch zusätzliche Reinigungsstufen dürfte Millionen kosten. Millionen, bezahlt von uns Bürgerinnen und Bürgern. Im Verkaufsregal ist Bio somit einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt. Während bei Bio nur wenige «externe Kosten» anfallen, werden bei billigen Lebensmitteln diese Ausgaben auf die Allgemeinheit abgewälzt…! Je billiger die Waren im Angebot sind, umso höher sind in der Regel die externen Kosten. Doch biologische und faire Einkäufe belasten unseren Geldbeutel auch jetzt schon deutlich weniger als angenommen. Unser Bundesamt für Landwirtschaft in der Schweiz publiziert regelmässig Preisvergleiche. Im Juni 2019 musste eine vierköpfige Familie für einen Bio-Warenkorb, der Milch, Fleisch, Eier, Kartoffeln, Mehl, Früchte und Gemüse enthält (60% frische, 40% verarbeitete Produkte) mit einem Mehrpreis von nur rund 60 Franken pro Monat rechnen. Das ist deutlich weniger als die meisten Menschen wohl vermuten würden.

 

Rahmenbedingungen die eine nachhaltige Landwirtschaft stärken

Meine Ausführungen im letzten Abschnitt machen es deutlich. Nur wenn es gelingt die «wahren Kosten» in die Preise zu integrieren, können die «UNO-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030» erreicht werden. Dies gilt für Lebensmittel genauso wie für Textilien, Mobilität, Baustoffe und andere Bereiche. Realistisch betrachtet wird es weiterhin viel Widerstand gegen Kostenwahrheit geben, da zu viele mächtige Kreise unserer Wirtschaft ihr Geschäftsmodel durch die Integration der «wahren Kosten» in ihre Produkte als gefährdet ansehen. Bei Abstimmungen genügt jeweils das Argument von höheren Lebenshaltungskosten, um Mehrheiten für eine Ablehnung zu finden, auch wenn dieses Argument nachweislich auf einer irreführenden Kostenkalkulation beruht…

 

Das Engagement bei der ökologischen Pflanzenzüchtung ausbauen

Die Pflanzenzüchtung befindet sich weltweit betrachtet zu 60% in den Händen von drei Konzernen. Die hochgezüchteten Sorten, die von «Syn-Bay.santo-Dow-Pont» angeboten werden, liefern ihre Erträge nur mit hohem Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Nicht nur die biologische Landwirtschaft ist auf Sorten angewiesen, die sich unter ökologischen Zucht-Bedingungen bewährt haben. Auch in der integrierten Produktion befriedigen die Hochzuchtsorten immer weniger… Ziel von Bio Suisse ist das Bioland Schweiz! Nicht an der Urne mit alleinigem Fokus auf die Landwirtschaft. Sondern gemeinsam mit der Bevölkerung. Denn Landwirtschaft und Ernährung hängen eng zusammen. Unsere Kundinnen und Kunden stimmen täglich ab - mit ihrem Griff nach Bio-Produkten im Lebensmittelregal.

 

 

Urs Brändli ist in Samstagern (ZH) aufgewachsen, absolvierte seine landwirtschaftlichen Lehrjahre in der Romandie, ehe er die Meisterprüfung am Strickhof absolvierte. Brändli führte in Goldingen (SG) einen Biobetrieb, den er 2015 auf seinen Sohn Leon überschrieben hat. Zur Zeit hilft er durchschnittlich noch einen Tag pro Woche auf dem Betrieb, ist aber in der Hauptsache seit 2011 Präsident von Bio Suisse, der Dachorganisation des Biolandbaus in der Schweiz und ausserdem Botschafter des Bodenfruchtbarkeitsfonds.

Textquelle: Magazin Bodenfruchtbarkeitsfonds 02/2019

 

 

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