Je nach Anwendungstechnik (mit Rückenspritze, Traktor, Flugzeug oder Helikopter) und chemischer Charakteristik (Aggregatzustand fest oder flüssig, Verdampfungstemperatur) werden Pestizide mehr oder weniger weit in benachbarte Gebiete verdriftet oder ins Grundwasser, in Flüsse oder Seen ausgeschwemmt. Damit bleibt die Wirkung der Pestizide nicht nur auf die behandelte Fläche begrenzt, sondern betrifft letztendlich die gesamte Biosphäre. Tatsächlich wurden Pestizidrückstände mittlerweile in den entlegensten Gebieten der Erde nachgewiesen: etwa in der Arktis, der Antarktis, in Hochgebirgen oder der innersten Mongolei, tausende Kilometer entfernt vom nächstgelegenen Anwendungsort der Pestizide. Besonders brisant ist dies auch wenn dadurch biologisch bewirtschaftete Flächen mit Pestiziden kontaminiert werden. Neben diesen räumlichen Aspekten sind aber auch zeitliche zu berücksichtigen. Auch viele moderne Pestizide (z.B. Insektizide aus der Gruppe der Neonikotinoide) werden nicht sofort abgebaut, sondern weisen Halbwertszeiten von mehreren Jahren auf. Damit verbleiben die Wirkstoffe oder deren Abbaustoffe (Metaboliten) längerfristig in der Umwelt und reichern sich dort durch mehrmalige Verwendung im Jahr an. Rückstände von älteren, bereits seit Jahrzehnten verbotenen Pestiziden (z.B. das Insektizid DDT oder das Insektizid Atrazin) finden sich auch heutzutage noch regelmässig in unseren Böden oder Gewässern.
PESTZIDWIRKUNGEN AUF BIODIVERSITÄT UND ÖKOSYSTEMFUNKTIONEN
Allein aufgrund ihrer beabsichtigten Wirkung - der Vernichtung von Organismen - stellen Pestizide eine Bedrohung für die biologische Vielfalt, die Biodiversität, dar. Wenn dadurch Nicht-Zielorganismen betroffen sind, die wichtig sind für Nährstoffkreisläufe, für die Bodenfruchtbarkeit und Bodenstruktur oder wenn es sich um Gegenspieler von Schaderregern handelt, dann beeinflussen Pestizide auch die Funktionen und Leistungen der Ökosysteme… Ein Thema, das in der öffentlichen Debatte wenig angesprochen wird, sind Pestizidresistenzen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Organismen (Beikräuter, Pflanzenkrankheiten, Insekten), die sich an die ständigen Pestizidgaben angepasst haben und Resistenzen aufgebaut haben. Beispielsweise sind weltweit Dutzende sogenannter Superunkräuter bekannt, gegen die Glyphosat unwirksam ist. Die Agrochemieindustrie reagiert darauf mit der ihr eigenen Philosophie, indem sie Herbizide entwickeln, die zusätzlich zu Glyphosat noch andere herbizide Wirkstoffe enthalten (z.B. 2,4-D, oder Dicamba).
PESTIZIDWIRKUNGEN AUF BODEN UND GEWÄSSER
Herbizide mit dem Wirkstoff Glyphosat zählen zu den am häufigsten eingesetzten Pestiziden. Die Aufwandmengen sind allein zwischen 1996 und 2014 weltweit um das 15-fache angestiegen und belaufen sich auf ca. 8.6 Milliarden Kilogramm pro Jahr, also etwa einem Kilogramm pro Erdenbürger/ in. Ging man lange davon aus, dass der Wirkstoff spezifisch nur Pflanzen beeinträchtigt, mehren sich mittlerweile Befunde über vielfältige Auswirkungen auf Nicht-Zielorganismen, von aquatischen Algen, Bodentieren und Bodenpilzen über Mikroorganismen im Darm von Honigbienen oder im Pansen von Rindern bis hin zu chronischen Krankheiten beim Menschen. Neben der direkten Beeinflussung von Bodenorganismen konnte auch gezeigt werden, dass es durch Herbizidanwendung zu einer Überdüngung der Flächen und grossen Auswaschungsgefahr für Nitrat oder Phosphat kommen kann. Die Wirkung von Pestiziden auf die Gesundheit von Nutztieren wie Rindern hat abgesehen von der tragischen ethischen Komponente weitreichende Auswirkungen, da dies zu einem höheren Medikamenteneinsatz in der Tierhaltung führt und damit noch mehr Chemikalien in die Umwelt gelangen.
PESTIZIDWIRKUNGEN AUF DIE ATMOSPHÄRE UND DAS KLIMASYSTEM
Bisher wenig Beachtung findet die Pestizidwirkung auf die Atmosphäre und das Klimasystem. Die Wirkungen reichen dabei von der Herstellung der Pestizide, die mit viel fossiler Energie und damit grossem Treibhausgasausstoss erfolgt, bis zur Pestizidlagerung und Deponie von Reststoffen der agrochemischen Industrie. Zahlreiche Unglücksfälle in der Vergangenheit (Bhopal, Seveso, Schweizerhalle) führten zu grossen Umweltzerstörungen und Gefahren für Menschen. Völlig unklar ist die Interaktion zwischen Pestiziden und anderen Schadstoffen, wie etwa Mikroplastik oder Nanopartikel oder die Kontamination unserer Atemluft mit Pestiziden, für die es auch keine gesetzlichen Grenzwerte gibt.
SOZIOÖKONOMISCHE AUSWIRKUNGEN
Die sozioökonomischen Auswirkungen der Pestizidabhängigkeit werden am drastischsten in der Region Punjab in Indien deutlich. Tausende Landwirtsfamilien befinden sich dort in finanziellen Abhängigkeiten zur Agrochemieindustrie, viele werden in den Suizid getrieben, der makabererweise durch Pestizideinnahmen durchgeführt wird. Ein weiterer sozioökonomischer Aspekt mit stark ethischer Komponente ist der Export gefährlicher Pestizide aus Europa in Drittstaaten. Es handelt sich dabei oft um hochgefährliche Pestizide, die in Europa wegen gesundheitlicher Bedenken nicht mehr angewendet werden dürfen. Allein vom Agrochemiekonzern Bayer, werden beispielsweise neun in der EU verbotenen Pestizidwirkstoffe exportiert, darunter drei als krebserregend und reproduktionstoxisch eingestufte Herbizide (Cyanamid, Acetochlor und Tepraloxydim). Der Export erfolgt oft in Länder des globalen Südens, in denen ökologische und arbeitsrechtliche Schutzmassnahmen nur schwach ausgebildet sind.
Die Brisanz dieser Exporte zeigt sich auch darin, dass zwar nur rund 25% der globalen Pestizidmenge in Entwicklungsländern eingesetzt wird, dort aber 99% aller tödlichen Vergiftungsfälle mit Pestiziden auftreten.
fazit
Zaghaft werden mittlerweile auch von der Politik die negativen Auswirkungen des Pestizideinsatzes erkannt. In zahlreichen Ländern, so auch der Schweiz, wurden Aktionspläne zur Verringerung von Pestizidrisiken verabschiedet. Ein beliebtes Motto von Landwirtschaft und Agrochemieindustrie ist dabei immer, dass ohnehin nur «so wenig wie möglich, so viel wie nötig» an Pestiziden eingesetzt werden. Ganz ernst gemeint scheint das aber nicht zu sein, da Herbizide in der konventionellen Landwirtschaft noch immer eingesetzt werden, obwohl die biologische Landwirtschaft erfolgreich zeigt, dass es sehr wohl ohne Herbizide geht. Fest steht, dass insgesamt noch zu wenig zum Schutz unserer Umwelt und Gesundheit vor Pestiziden getan wird. Letztendlich braucht es den politischen Willen und Mut, die Interessen und Machtbeziehungen, die die pestizidintensive Landwirtschaft fördern, kritisch zu hinterfragen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine gesamtheitliche Betrachtung der Thematik, die in der bisherigen Pestizidzulassung ignoriert wird. Auch die UN Menschenrechtskommission sieht die industrielle Landwirtschaft als hoch problematisch, nicht nur aufgrund der Schäden, die durch Pestizide verursacht werden, sondern auch aufgrund ihrer Wirkung auf den Klimawandel, dem Verlust an Biodiversität und der weltweiten Nahrungsmittelversorgung (UNHRC 2017). Diese Bereiche stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander und müssen gemeinsam mit dem Menschenrecht auf Nahrung gesehen werden. Aktivitäten zur Eindämmung von Pestiziden können nur erfolgreich sein, wenn ökologische, ökonomische und soziologische Faktoren im Rahmen der Erfüllung der globalen Nachhaltigkeitsziele (sustainable development goals) umgesetzt werden.
über den autoren:
Johann G. Zaller ist Professor für Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien. Er hat internationale Forschungserfahrung in der Schweiz, Deutschland, Argentinien und den USA. Zusammen mit seinem Team erforscht er seit Jahren Pestizide und deren Nebenwirkungen. Prof. Zaller hat zahlreiche internationale Publikationen, u.a. das Buch «Unser täglich Gift» (2018), veröffentlicht, ist Mitherausgeber mehrerer wissenschaftlicher Zeitschriften und ausserdem Experte der Österreichischen Biodiversitätskommission, sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des WWF Österreich.
Quelle: Magazin Bodenfruchtbarkeitsfonds 02/2019
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